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Du bist kein Fehler im System. Du bist ein anderer Code

Der Verstand ist ein präzises Instrument - wie ein Skalpell, das geschaffen wurde, um die Wirklichkeit in ihre Einzelteile zu zerlegen, damit du erkennen kannst, was ist, und was nicht ist.

Doch so wie jedes Werkzeug stumpf wird, wenn es falsch eingesetzt oder zu selten gereinigt wird, verliert auch der Verstand seine Schärfe, wenn er sich mit allem identifiziert, was an ihm haften bleibt.

Die Lösung ist also nicht, das Denken zu stoppen.
Sondern es klar werden zu lassen.

Das gelingt nur, wenn du deinen Verstand nicht mehr in dein Gedächtnis tauchst.
Nicht in alte Geschichten.
Sondern in den gegenwärtigen Moment.
Dort wird Denken wieder scharf, präzise und still, wenn es nichts zu sagen gibt.

Denn Gedanken sind nicht das Problem.
Nur verkrustete Gedanken sind es.
Reaktive. Festgefahrene.

Stell dir vor, dein Geist ist wie eine Kamera, deren Aufgabe es ist, die Welt in gestochen scharfen Bildern festzuhalten.

Doch wenn du die Linse nie säuberst - wenn sich erst Fingerabdrücke, dann Staub, und schließlich ein feiner Film alter Erinnerungen auf ihr ablagert - dann beginnt das, was du siehst, mehr mit der Vergangenheit zu tun zu haben als mit der Gegenwart.

Und wenn du dann auch noch alte Bilder direkt auf das Display klebst, wird dein Blick vollkommen getrübt.
Du betrachtest das Leben nicht mehr durch den Moment, sondern durch Schichten dessen, was einmal war.

Genau das passiert, wenn sich der Verstand mit bestimmten Ideen, Rollen oder Erfahrungen identifiziert.

Plötzlich nimmst du die Welt nicht mehr klar wahr, sondern durch eine Linse, die bereits vorentschieden hat, was du sehen darfst und was nicht.

Du reagierst nicht auf das Jetzt.
Du reagierst auf Muster, Erinnerungen, Bedeutungen, die du dir selbst erzählt hast.

Der Verstand wird zur Hürde

Sobald dein Verstand sich mit einer bestimmten Identität verbindet, beginnst du, dich selbst durch diese Linse zu betrachten.
Ganz gleich, ob es sich dabei um dein Geschlecht, deine Herkunft, deine Überzeugungen oder deinen Schmerz handelt.

Jede Identifikation formt die Struktur deiner Gedanken und steuert deine emotionalen Reaktionen. 

Sie wird zu einem unsichtbaren Rahmen, durch den du die Welt sortierst. Nicht nach dem, was wirklich ist, sondern nach dem, was du zu sehen gelernt hast.

Die meisten Menschen verwechseln diesen Filter mit sich selbst.
Doch in Wahrheit ist es nur eine Geschichte, die du lange genug wiederholt hast, bis du sie geglaubt hast.

Der Verstand, der ursprünglich als Werkzeug der Klarheit gedacht war, wird so zur Quelle der Verwirrung.

Er beginnt, dich nicht zu befreien, sondern einzuengen - wie ein Messer, das nicht mehr schneidet, sondern kratzt.

Interessanterweise stammt der größte Teil des menschlichen Leidens nicht von äußeren Umständen, sondern von innen.

Das, was dir von außen geschieht, ist oft nur ein Tropfen. Doch dein Verstand macht daraus eine Flut.

Sobald du dich mit etwas identifizierst, was du nicht bist, wird der Verstand zu einem Schnellzug, der keine Bremse kennt. Je mehr du ihn antreibst, desto mehr gerätst du außer Kontrolle.

Doch das muss nicht so sein.

In dem Moment, in dem du dich beginnst zu „ent-identifizieren“
- dich von den Etiketten löst, die du unbewusst angenommen hast -
wirst du feststellen, dass dein Geist ruhiger wird.

Er wird klar, leer, weit.

Er steht dir wieder zur Verfügung.
Nicht als Richter, sondern als Werkzeug.

Wenn du ihn brauchst, kannst du ihn nutzen. Wenn nicht, ist er einfach still.

Die Dimension der Unterscheidung

Die Fähigkeit, zu unterscheiden, ist überlebensnotwendig. Sie erlaubt dir, den Unterschied zwischen einem Haus und einem Menschen zu erkennen, zwischen einer Wand und einer Tür.

Ohne diese Dimension der Unterscheidung wäre ein Leben auf dieser Welt schlichtweg nicht möglich. Doch genau diese Fähigkeit wurde in der modernen Welt einseitig übertrainiert.

Wir haben einen Verstand kultiviert, der ständig teilt, vergleicht, beurteilt und vergessen, dass wir auch das Gegenteil lernen könnten: Präsenz, Integration, Gewahrsein.

Der Verstand wurde von einem Werkzeug der Erkenntnis zu einem ständigen Kommentator degradiert. Er analysiert, zerteilt, vergleicht und je stärker wir ihm folgen, desto weiter entfernen wir uns von der Ganzheit.

Statt Einheit schaffen wir Spaltung.

So wird aus einem ehemals klaren Werkzeug eine Barriere zwischen dir und der Tiefe des Lebens.

Warum ist das so?

Weil du deinen Verstand ständig in das trübe Wasser deines Gedächtnisses tauchst.

Dort schwimmen alte Informationen, fremde Meinungen, halbfertige Gedanken, die du irgendwann einmal aufgeschnappt hast.

Die meisten Gedanken, die du heute denkst, sind nicht neu!

Sie sind Überbleibsel. Fragmente. Reaktionen.

Dein Geist ist dabei wie ein Container voller Second-Hand-Gedanken, gefüllt von Lehrern, Eltern, Nachrichten, Freunden, Feinden, Stimmen, die du längst vergessen hast. Und trotzdem führen sie dich noch immer.

Der ansammelnde Teil deines Geistes ist ein Archiv der Vergangenheit.

Kein Ort für neue Klarheit.

Was, wenn dein Algorithmus anders geschrieben ist?

Nicht jeder Verstand funktioniert gleich. Und das ist keine Schwäche. Es ist nur ein anderer Code.

Für manche Menschen ist der Verstand kein Skalpell, das präzise trennt, sondern ein Prisma, das alles gleichzeitig wahrnimmt - ungeschönt, unbearbeitet, roh. Was für die einen Fokus ist, ist für andere Reizüberflutung.

Was für dich klare Unterscheidung ist, kann für jemand anderen ein unaufhörliches Rauschen sein.

Unsere Gesellschaft wurde gebaut für lineares Denken. Für Menschen, die der Welt in einer bestimmten Reihenfolge begegnen. Aber nicht jeder funktioniert so.

Neurodivergente Menschen - sei es im Autismus-Spektrum, mit ADHS oder hoher Sensibilität - besitzen oft einen Verstand, der auf einem anderen Algorithmus läuft.

Einen Algorithmus, der ständig neue Verbindungen herstellt, vielleicht chaotischer wirkt, aber auch tiefgründiger und weiter gefasst ist.

Das heißt nicht, dass dieser Geist "defekt" ist. Es heißt nur, dass er einem anderen Algorithmus folgt … einem, den die meisten nie lernen zu lesen.

Dieser Geist verarbeitet Dinge anders. Tiefer. Weitläufiger. Vielleicht chaotischer.

Aber genau darin liegt oft das größte Potenzial.

Der Fehler liegt nicht im System. Der Fehler liegt darin, dass wir ein einziges System für alle voraussetzen.

Wenn du also das Gefühl hast, dass dein Verstand dich manchmal überrollt, nicht zur Ruhe kommt, dich mit sich selbst bombardiert - erinnere dich:

Es ist nicht deine Aufgabe, so zu denken wie alle anderen.

Es ist deine Aufgabe, herauszufinden, wie du funktionierst und daraus Klarheit zu formen.

Identity beats Algorithm

Egal, wie dein Geist funktioniert - wie schnell, komplex oder anders dein „Algorithmus“ geschrieben ist - deine Identität wird immer die Kontrolle übernehmen.

Denn solange du dich mit Bildern, Rollen und Geschichten identifizierst, bestimmst nicht du deinen Verstand, sondern dein Verstand dient diesen Mustern.

Identität ist der Code, der den Algorithmus lenkt und oft genug sabotiert.

Wenn du willst, dass dein Geist dich befreit,
musst du aufhören, ihn als Mülleimer zu benutzen.

Und anfangen, ihn als Laser zu führen.

Richte ihn nach innen.
Räume auf.
Werde leer.

Und dein Verstand?

Er wird dann nicht verschwinden.

Er wird beginnen, dir zu dienen.

Good luck, my friend

Deine

-Kristin